Kollektiv-Madjarisierung

Im Jahr 1868 war auch in Kischludt, etwa 20 km nördlich des Plattensees, unweit der Bischofsstadt Weßprim, eine schwere Epidemie der Namenmagyarisierung ausgebrochen, welcher zumindest 85 makellose Familiennamen zum Opfer fielen. Wie bekannt, ließ der damalige Gemeindenotär die einzelnen Familienhäupter der Reihe nach ins Gemeindehaus kommen, wo er ihnen kurz und bündig mitteilte, daß sie, wenn sie schon „ungarisches Brot essen, auch unbedingt einen ungarischen Namen haben müssen“. Er habe bereits für jede Familie einen schönen ungarischen Namen gefunden und auch den an das Innenministerium zu richtenden Antrag zur Namensänderung fertiggestellt; ihre Pflicht sei nur noch, den Antrag zu unterschreiben, ihren neuen ungarischen Namen zur Kenntnis zu nehmen und denselben an Stelle des alten zu führen.

Dann legte er ihnen den fertigen Antrag vor und ließ keinen aus dem Gemeindehaus gehen, bevor der Antrag unterschrieben war. Die auf diese Weise unterfertigten Anträge leitete er anschließend – in einem Sammelantrag zusammengefaßt – an das Innenministerium weiter, wo sie unter dem Aktenzeichen: B.M. 136591868 bestätigt wurden.

„Mitunter hat sich der humoristische Fall ergeben“ – lesen wir im NEUEN SONNTAGSBLATT -„daß die Leute, bis sie nach Hause gekommen sind, ihren Namen vergessen hatten, und sich nachher ins Gemeindehaus begeben mußten, um vom Herrn Notär über ihren Namen aufgeklärt zu werden. Da inzwischen der Notär den neuen Namen auch schon vergessen und den Namensänderungsantrag bereits an das Innenministerium weitergeleitet hatte, geschah es, daß einzelne Familien zwei ungarische Namen bekommen haben“.

Davon abgesehen, hatte in Kischludt seit 1869 sowieso eine jede Familie zwei Namen. Den amtlichen ungarischen, dessen sie sich vor den Behörden bedienten, und den angeborenen deutschen, den sie im Alltagsleben unter sich gebrauchten.

Auf Grund der soeben geschilderten „freiwilligen“ Magyarisierungsaktion des machthaberischen Gemeindenotärs wurden in Kischludt folgende – uns bekannte – Familiennamen geändert bzw. magyarisiert:

  1. Johann Aknai-Eisenacker; 2. Johann Angyal-Englert; 3. Johann Angyalfi-Englert, 4. Franz Árusi-Kaufmann mit den Kindern; Josef und Zacharias; 5. Martin Asztalos-Tischner; 6. Peter Atya-Peter; 7. Michael Bajcsai-Bauer, Medizinstud.; 8. Michael Barát-Freud od. Freund m. d. Kindern: Johann, Stefan u. Sebastian; 9. Konrad Bélafi-Albert m. d. Kindern: Johann, Michael, Anton, Adam u. Johann; 10. Johann Brassai-Brasberger m. Sohn: Josef; 11. Anton Büki-Buchwald m. d. Kindern: Adam u. Johann; 12. Josef Dér-Reif; 13. Josef Egri-Egermann m. Sohn: Joh.; 14. Martin Eplényi-Schabitz (Sábicz) m. d. Kindern: Gabriel und Josef; 15. Martin Ernyei-Ehrlich m. Sohn: Johann; 16. Joh. Fellegi-Folk: (Anm. der AULA: Es folgen die weiteren Madjarisierungsfälle bis zur Ordnungszahl 85).

So wurden in Kischludt sämtliche deutsche Familiennamen mit einein Federstrich ausgelöscht. Dessenungeachtet blieb aber das Volk in seinen Gefühlen und seiner Sprache auch weiterhin deutsch, wie das aus den folgenden Volkszählungsergebnissen eindeutig hervorgeht:

 

Jahre: 1880 1890 1900 1910 1920 1930 1941
Madjaren: 151 131 238 166 200 219 284
Deutsche: 1.488   1.615 1.473 1.457 1.351 1.321 1.368

 

Weil sie aber Deutsche geblieben sind, wurde nach dem Zweiten Weltkriege ein großer Teil der Einwohner aus Ungarn ausgewiesen und nach Deutschland, in die seinerzeitige Russische Zone (Kreis Pirna, Sachsen, DDR) verfrachtet, nachdem sich die Amerikaner weigerten, weitere Ausgewiesene aus Ungarn in die damalige Amerikanische Zone Deutschlands aufzunehmen.

Mehrere dieser Familien sind, wie mir Alex Bilder und dessen Tochter Barbara Wipper (zur Zeit in Ottobrunn bei München) berichteten, später in die Bundesrepublik geflohen und entweder hiergeblieben oder nach den USA und Kanada ausgewandert. Heute leben von den Kischludter Einwohnern, außer den 118 Familien, die in Ungarn zurückgeblieben sind, 88 Familien im Vogtland (Sachsen, DDR), 34 Familien in der Bundesrepublik Deutschland (Mutterstadt, Darmstadt, Gießen, Hamburg, Stuttgart, Friedrichshafen, Karlsruhe, Sigmaringen, Ravensburg, Bad Wurzach usw.), 18 Familien in den USA (Chicago, Ohio, Cleveland usw.), 13. Familien in Kanada (Montreal, Toronto usw.). Sie alle stehen mit den ihnen bzw. ihren Vorfahren aufgezwungenen ungarischen Namen, in der ganzen Welt zerstreut, wie „Gezeichnete“ da und legen über die beispiellosen Umtriebe des von den jeweilien ungarischen Regierungen geduldeten und unterstützten, ungarischen Nationalismus und Chauvinismus ein unleugbares Zeugnis ab.

Quelle: Paul Flach „Das ungarländische Deutschtum im Spiegel der amtl. Volkszählung vom 31. 1. 1941″ ; Schriftenreihe d. Landsmannschaft der Deutschen aus Ungarn in Bayern e.V., Nr. 15, 1979

Aus: AULA, 7-8/2000, S. 25