Nikolaus Lenau : Waldlieder 1.
Am Kirchhof bin ich dort gestanden,
Wo unten still das Rätsel modert
Und auf den Grabesrosen lodert;
Es blüht die Welt in Todesbanden.
Dort lächelt auf die Gräber nieder
Mit himmlisch duldender Gebärde
Vom Kreuz das höchste Bild der Erde;
Ein Vogel drauf, sang seine Lieder.
Doch kaum daß sie geklungen hatten,
Flog scheu zum Wald zurück der Wilde;
Ich sang, wie er, ein Lied dem Bilde
Und kehrte heim in meine Schatten.
Natur! will dir ans Herz mich legen!
Verzeih, daß ich dich konnte meiden,
Daß Heilung ich gesucht für Leiden,
Die du mir gabst zum herben Segen.
In deinen Waldesfinternissen
Hab ich von manchen tiefen Ritze,
Durch die mir leuchten deine Blitze,
Den trüglichen Verband gerissen. (1843)
Nikolaus Lenau: Nach Süden
Dort nach Süden zieht der Regen,
Winde brausen südenwärts,
Nach des Donners fernen Schlägen,
Dort nach Süden will mein Herz.
Dort im fernen Ungarnlande
Freundlich schmuck ein Dörfchen steht,
Rings umrauscht von Waldesrande,
Mild von Segen rings umweht.
An des Dörfchens stillem Saume
Ist ein Hüttlein hingestellt,
Das in seinem schmalen Raume
Wahret meine Herzenswelt.
Bäume, die dem Wald entsprungen,
Sehnend nach dem Hüttlein sich,
Halten Dach und Wand umschlungen
Mit den Zweigen inniglich.
Aus dem Fenster blickt nun schweigend
Lilla nach dem Wald hinaus,
Ihr Gesichtchen traurig neigend,
Blickt sie nach dem Laubgebraus.
Und sie siehts mit stillem Sinnen,
Und sie sieht es bang gerührt,
Wie die Wasser niederrinnen,
Wie der Wind das Laub entführt.
Lauter wogt der Bach und trüber,
Lauter wird der Lüfte Streit,
Hörbar rauscht die Zeit vorüber
An des Mädchens Einsamkeit.
(1826/1827)
Nikolaus Lenau: An die Ersehnte
Umsonst! Du bist auf immer mir verloren!
Laut rufend in den dunklen Wald des Lebens,
Hat ohne Rast die Sehnsucht dich beschworen;
Ihr Ruf durchklang die Einsamkeit vergebens.
Tief ist mein Herz erkrankt an einer Ahnung,
Von der ich nimmer wohl genesen werde,
Es flüstert mir mein Herz die trübe Mahnung:
Noch ist sie nicht geboren dieser Erde!
Die Stunden, die mit frohen Wandersängen
Das Mädchen einst durchs Erdental geleiten,
Sie schlummern in der Zukunft Schattengängen
Bei ihrer Bürde noch von Seligkeiten;
Von Seligkeiten, die mit leichten Händen
Die wachen einst entgegenstreuen allen,
An welche sie die schöne Gunst verschwenden,
Mit ihrer Königin vorbeizuwallen.
Die eine aber von den Schläferinnen
Wild locken sie zur Kühle von Zypressen
Und führen sie, versenkt in stilles Sinnen,
An deinen Hügel, moosig und vergessen.
Dann irrt dein Geist um deine Asche bange,
Dann zittern Geist und Staub, sich zu vereinen;
Das Mädchen aber wird am Grabeshange,
Geheim ergriffen, stille stehen – und weinen. (1822/1823)
Nikolaus Lenau: Vergänglichkeit
Vom Berge schaut hinaus ins tiefe Schweigen
Der mordbeseelten schönenen Sommernacht
Die Burgruine; und in Tannenzweigen
Hinseufzt ein Lüftchen, das allein bewacht
Die türmmervolle Einsamkeit,
Den bangen Laut: „Vergänglichkeit!“
„Vergänglichkeit!“ mahnt mich im stillen Tale
Die ernste Schar bekreuzter Hügel dort,
Wo dauernder der Schmerz in Totenmale
Als in verlaßne Herzen sich gebohrt;
Bei Sterbetages Wiederkehr
Befeuchtet sich kein Auge mehr.
Der wechselnden Gefühle Traumgestalten
Durchrauschen äffend unser Herz; es sucht
Vergebens seinen Himmel festzuhalten,
Und fortgerissen ist die rasche Flucht
Wird auch der Jammer; und der Hauch
Der sanften Wehmut schwindet auch.
Horch‘ ich hinab in meines Busens Tiefen,
„Vergänglichkeit!“ klagt’s hier auch meinem Ohr,
Wo längst der Kindheit Freudenkläng‘ entschliefen,
Der Liebe Zauberlied sich still verlor;
Wo bald in jenen Seufzer bang
Hinstirbt der letzte frohe Klang.
Nikolaus Lenau: An J. Klemm
O säume nicht mit Wein, Gesang und Kosen
Dein Herz zu frischen! Sieh, die Jugend flicht
In deinen Strauss schon ihre letzten Rosen,
Bald wendet sie das holde Angesicht
Und flieht und schwindet tief und tiefer immer
Im Hain Vergangenheit – und kehret nimmer.
Dann gilst empor zur Lebenshöh zu dringen,
Dann hörst du hinter dir im Blütental
Das „Gaudeamus igitur” verklingen,
Und deine Bahn wird Glühend, schroff unf kahl:
Am Strauße, den die Jugend dir gewunden,
Ist bald so Duft wie Farbenpracht verschwunden.
Doch wallst du einst zur Abendherberg nieder,
Tränkt kühler Tau den welken Blumenstrauß,
Dann blüht er neu mit Duft und Farbe wieder;
Du setzest müde dich vors stille Haus,
Spielst mit dem Strauß, dem Kinde schöner Zeiten,
Und Schlummerst ein – die Blumen dir entgleiten. (um 1824)